Chronologie eines Scheiterns in 13 Bildern
9. Juni, 20:35
Wir fassen den Entschluss, am nächsten Tag per Anhalter nach Kirgistan zu gelangen. Das ginge nicht, unken alle, aber geunkt wurde auch schon vorher. Wer es von Duschanbe bis Murgab schafft, der wird das letzte Stückchen nach Saritash auch noch schaffen, oder etwa nicht? 843 Kilometer über Stock und Stein waren es seit Duschanbe, mit Schwerpunkt Stein, und 233 Kilometer fehlen noch. Lächerliche 233 km sollen wir jetzt nicht schaffen? Ja, es ist wenig Verkehr, und ja, alle Jeeps sind schon voll. Erzähl‘ mir was neues!
Wir hatten uns mangels Autostopp-Verständnis eine Ausnahme gegönnt und für einen Teil der bisherigen Strecke bezahlt. So wollen wir es wieder machen – Falls jemand ein gutes Angebot macht, nehmen wir auch einen Platz im Jeep oder Sammeltaxi in Anspruch. Kräfte sammeln und schlafen gehen, Morgen geht’s nach Kirgistan!
10.6. 11:00
Sachen gepackt, Mut gefasst und raus aus der Stadt. Die berühmte einzige Karte vom Pamir, angefertigt vom Schweizer Kartographen Markus Hauser, suggeriert, dass etwas östlich von Murgab zwei Straßen zusammentreffen, die nach Norden führen. Um keine Gelegenheit zu verpassen, wandern wir an diese Kreuzung, vorbei an den zauberhaften Zeugen blühender Sowjetvergangenheit. Ein Junge begleitet uns ein Stück des Weges. Wir sind auf gleicher Höhe: Wir kennen kein Kirgisisch, die Sprache seiner ethnischen Minderheit und unseres Ziel-Landes, er kein Avtostop.
12:31
Die Kreuzung. Eine grob asphaltierte Straße und eine Piste, die sich so wenig vom Wüstenboden abhebt, dass wir sie fast übersehen hätten. Hier schlagen wir unser Lager auf, denn wenn die geballte tadschikische Tramper-Erfahung eines besagt, dann die folgende Weisheit: Das kann lange dauern. Der Wind pfeift scharf, hier oben, auf 3612 Metern über dem fernen Meer. Da kommt das mysteriöse Erdloch sehr gelegen, das eines Meteoritenkraters gleich, als außerirdisch-absurde Konkarve mitten in die endlose Ebene ragt. Wir nehmen Haltung an:
12:45
Nichts.
13:00
Nichts.
13:30
Nichts.Wir langweilen uns.
13:32
Wir machen Sprungfotos.
13:45
Nichts.
13:48
Da! Ein Auto!! Wir springen auf. Wir rennen zur Straße.
Mist. Ein Jeep. Er ist schon voll, natürlich.
14:00
Nichts.
14:07
Da! Ein Sammeltaxi!! Die Typen halten an, sie haben noch Platz in ihrer Tabletka, einem Minibus aus den 1970er Jahren, geformt wie ein Lutschbonbon. Nachdem sie uns ansehen wie Marsbewohner, finden wir langsam heraus, dass sie nur ein paar Kilometer fahren, zum Brennstoff sammeln. Brennstoff ist in diesen Klimaten nicht etwa Holz, sondern vertrocknetes knorriges kleines Buschwerk, das wie in Western-Filmen über den Wüstenboden kullert, wenn es windig wird.
14:15
Nichts.
14:30
Nichts.
14:32
Ein Auto!!! Es hält an. Drei Insassen in einem uralten Lada. Der Fahrer gibt nicht preis, wohin er fährt. Als wir Karakul nennen, den schwarzen See, 130 Kilometer nordwärts, schreibt er Zahlen in den Sand. 15 Liter Verbrach auf 100 Kilometern, 8 Somoni pro Liter, 260 Kilometer (keine Aussicht auf Passagiere auf dem Rückweg). Das macht 35 Liter insgesamt, also 280 Somoni Benzinkosten laut eigenen Angaben. Wieviel wir ihm für die Fahrt zahlen wollen, fragt er. Wir sagen 300. Er lacht. Wir lachen. Taxifahren war nicht unser Ideal, höchstens Sammeltaxi. Nach fünf weiteren Versuchen und Dutzenden Zahlen im Sand gibt er auf und braust davon.
14:45
Nichts.
15:00
Nichts.
15:10
Da! Ein LKW!!! Unsere Chance!!!! Wir laufen euphorisch die paar Meter zur Straße, vollgepumpt mit Adrenalin und Siegesgewissheit, nur um zu entdecken, dass das lange Ding am Horizont, statt näher zu kommen, abgebogen ist. Mist.
15:15
Nichts.
15:18
Dunkle Wolken ziehen über die hohen Berge. Das trübe Zeug, das über die weite Ebene auf uns zusteuert, verspricht nichts gutes.
15:26
Wir verschanzen uns.
15:30
Es stürmt.
15:45
Vertrocknetes knorriges kleines Buschwerk kullert über den Wüstenboden.
15:51
Da!!! Zwei Autos!! Wohnmobile!!! Wir sind gerettet!!! Die haben auf jeden Fall noch Platz. Sie kommen näher, ziemlich schnell. Ausländische Kennzeichen!! Aus Frankreich! Äh, eigentlich sollten sie jetzt langsam abbremsen. Zwei Pickups mit Wohn-Aufbau und Rallye-Aufklebern pesen vorbei. Der sonnenbebrillte Blick der Fahrer ist stur auf die Straße geheftet. Wir gestikulieren wild und schreien in den Staub, den sie hinterlassen.
Sie bremsen.
Sie diskutieren miteinander.
Wir sehen die Bremslichter.
Sie warten.
Wir laufen.
Sie fahren ab.
16:00
Es stürmt immer noch. Aber kein Grund, den Mut zu verlieren: Wir sind gewappnet, mit Erdloch und Zeltplane.
16:15
Und Wanderstock.
16:30
Und Gletscherbrille. Design by Mauricio Buhnero. Einzelstück.
16:45
Wir sehen den fünften LKW in der Ferne abbiegen. Ein voller Jeep und ein weiterer Lada, der nur ein paar Kilometer weit fährt, ziehen vorbei. Die Hoffnung sinkt.
17:26
Ein LKW kommt zurück vom Wurzelsammeln.
17:30
Wir frieren.
17:37
Wir stemmen Steine. Wir dopen uns mit Musik.
17:45
Nichts.
18:00
Nichts.
18:15
Nichts.
18:30
Nichts.
18:45
Nichts.
19:00
Nichts.
19:02
Wir spielen Erdlochmurmeltier.
19:15
Nichts.
19:30
Nichts.
19:45
Nichts.
19:55
Es dämmert. Wir wandern zurück nach Murgab. Morgen nehmen wir einen Platz im Jeep.
22:45
Wir schlafen selig ein. Soll ‚mal einer behaupten, wir hätten es nicht versucht.
Herrlich! Pfeifen. Aus dem letzten Loch.
ich hätte meinen letzten Cent dem Taxifahrer gegeben!
HAMMER!!!!!!
Ich bekomme gleichzeitig Herzschmerzen vor Mitleid und Halsschmerzen vor Lachkrämpfen!!!
Was haben die Wohnmobilfahrer gesehen, das sie zum Durchstarten veranlasst hat?
Wo gibt’s die geilen Buhnero-Designer-Einzelstücke?
Wieviele Familien muss die LKW-Ladung durch den Winter bringen?
Was wäre, wenn das mysteriöse Loch unter euch nachgegeben hätte?
Ihr bekommt den Sonder Award und Standing Ovations für dieses unschlagbare Durchhaltevermögen. Und den Zusatzbonus dafür, dass wir so köstlich daran teilhaben durften.
Kann man das Erdlochmurmeltier bei uns halten?
Was benötigt es an Auslauf?
Könnt ihr mir eins mitbringen?
Ein ewig langer Tag für euch, der sich für uns so kurzweilig liest. Wunderbar geschrieben, und es ist schön zu sehen, dass der Humor bleibt.
hahaha, ein lacher nach dem anderen! super text, geile bilder! besonders gefällt mir das kullernde buschwerk, das an die wunderharke erinnert, das auto als lutschbonbon und das dümmlich starrende erdlochmurmeltier. ich frage mich: kannst du durch die fancy gletscherbrille überhaupt vorbeifahrende autos sehen? und du hast vergessen, den absolut schönsten zeitvertreib des netten telefongesprächs mit deiner familie in der heimat zu erwähnen, wenn ich bitten darf! war schön, euch zu sprechen. zu der zeit wart ihr noch voller hoffnung auf ein auto und sehr gut drauf 🙂
ja, das kommt davon, wenn man einen monat verstreichen lässt, bevor man den eintrag schreibt. schuldigung. also, nachtrag:
16:30
Kaum zu glauben, aber in dieser unwirtlichen Wüste ersucht uns ein Zeichen von Zivilisation. Das Handy klingelt. Zu Hause ist dran. Wir versuchen, den Anschein von Normalität zu erwecken, ohne die Gelegenheit zu verpassen, uns dezent mit der Coolness zu brüsten, die so ein Tag verdient. Eine schwierige Gratwanderung, doch mit Galgenhumor und den guten Gefühlen, die die vertrauten Stimmen bringen, gelingt uns das Unterfangen.
Als nach einer guten Stunde das Gespräch vorüber ist, lässt DJ Desert es sich nicht nehmen, einen Regler auf die maximale Lautstärke zu schieben: Den der hoffnungslos unkompromittierbaren Stille.
hahaha! schön. dj desert hat auf never ending loneliness fm den song of good hope (http://www.youtube.com/watch?v=2sRRJmWSqZI) in endlosschleife gespielt!
und ich hätte nach den zwei pick-ups geheult.. wie gut, dass ihr mich nicht dabei habt..