Alle Luken dicht, alle Türen zu. Das Element, vor dessen brutalen Duschen wir uns zu schützen gedenken, kondensiert jetzt innen, an Fenstern und Wänden. Vier Personen und ein Gasherd haben zwei Eigenschaften der Luft in rekordträchtige Extreme getrieben: Die Feuchtigkeit nach oben, den Sauerstoffgehalt nach unten. Zum Abendessen hat sich Ray heute etwas besonderes einfallen lassen. Etwas besonders Praktisches. Er wärmt, breitbeinig nach Balance trachtend, mit einer Hand eine Dose Eintopf von Aldi auf. Mit der anderen hält er sich fest. Verrückt, denke ich, wie man selbst in der Mitte eines Ozeans nicht vor dieser an Bipolarität schwer zu übertreffenden Globalisierung gefeit ist. Einerseits segnet sie uns, Hand in Hand mit der skrupellosen Rafinesse der Gebrüder Albrecht, bis ans andere Ende der Welt mit der vorzüglichsten schwarzen Billigschokolade des Universums. Andererseits vermag sie auch zu malträtieren. Es ist so feucht, so stickig im Inneren des schaukelnden Bootes, dass die mit Mühe heruntergewürgten Löffel des in Form und Geruch aufs Schärfste an Hundefutter erinnernden „Eintopfs mit Rindfleisch“ trotz höchster Konzentration nicht an ihrem – körperinneren – Bestimmungsort verweilen wollen. In einem Anflug masochistischer Selbstaufklärungswut hatte ich das letzte Mal, als Ray diesen Fraß „kochte“, zwischen den dutzenden E-Numnmern auf dem Etikett einen als Werbespruch gedachten Satz entdeckt: Beef Stew – With chunky bits. Luken auf, jetzt wird geflutet. Ich ramme beim Versuch, durch die Tür zu stürmen, erst den Tresen mit der Hüfte, dann die Tür mit der Schulter, und erhalte mit dem Schwall salziger, kalter Luft, der mir entgegenströmt, auch eine ansehnliche Auswahl gut zerkauter Möhren-, Bohnen- und Zwiebelstücke ins Gesicht. Trotz des beachtenswerten Drucks, den mein Magen in so überraschend kurzer Zeit aufgebaut hatte, ging der Strahl nicht wie beabsichtigt geradeaus nach hinten in das, meinem Magen so gleich, aufgewühlte Meer, sondern wurde – in der Sekunde des Verlassens der windgeschützten Mundhöhle – abgefangen. Um 90 Grad gedreht ergoss sich die breit gefächerte Bescherung auf Beiboot, T-Shirt, Hose und Gesicht. Als wären mit 43 Knoten durch die Luft fegende chunky bits noch nicht beeindruckend genug, überspült mich zwischen dem ersten und zweiten Kotzschwall eine kolossale Portion Salzwasser. Kaum zu glauben, aber in diesem Moment ist alles, was ich fühle, Erleichterung. Dicht gefolgt von einem Ruck. Clara, aus deren Augen eine eigenartige Mischung aus Vorwurf, den man später noch erörtern kann, und Tod, dem man gerade von der Schippe gesprungen ist, spricht, zieht mich zurück in das überdachte Cockpit und drückt mir einen Eimer in die gleichmäßig besprenkelte Hand.
Karin und ich waren gute Aldi-Sued Kunden in Sydney und ein Jahr später in Melbourne
was soll ich dazu sagen? schon der Geruch des Hundefutters dreht meinen Magen um, es noch zu essen und bei 6 m hohen Wellen zu verdauen ….. ich trinke jetzt ein Gläschen Schnaps!
Und ich kenne Claras vorwurfsvollen Blick…. wenn dieser in ihren Augen zu finden ist, dann ist die Lage verdammt ernst. Albatros sei Dank.
Also, sowohl Moritzens und Claras „Schreibe“ erreicht neue Höhepunkte. „Wenn grobe Stücke weit fliegen“ hat die literarische Qualität eines Hemingway oder Musil. Wenn das noch von Stefan einfühlsam vertont würde, dann könntet ihr eine anspruchsvolle Boulevard Bühne bespielen.
Ich sitze dann gerne in der Box, verkaufe für Euch die Eintrittskarten und mache den Platzanweiser. Karin übernimmt Schnaps- & Sektverkauf für die Theaterbesucher – und schon haben wir ein neues Geschäftskonzept !
Der Tod, dem man gerade von der Schippe gesprungen ist…
Soso, waren unsere mütterlichen Sorgen wohl doch nicht so weit hergeholt…
Ich verkaufe dann bei Manfreds Theaterversion die Regenschirme für die ersten Reihen.
einfach unglaublich.. das erlebnis und dessen beschreibung..
„die breit gefächerte Bescherung“.. das ist wirklich eine Tragikomödie!
Ich lese das jetzt zum x-ten Male, in der Hoffnung auf neue Artikel und Kommentare im Blog stöbernd.
Und ich muss sagen: Ich bin nicht masochistisch und spüre daher durchaus immer noch die Ekelfacette dieser Lektüre. Die Angst und Sorge, weiterer Aspekt, ist ja mittlerweile in den Hintergrund getreten, ihr seid ja schon so gut wie wieder zu Hause!!!, und nun überwiegt: Die herrliche Lust an dem schillernden Lesegenuss.
Manfred, wann legen wir los????
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