oder „Wie wir doch tatsächlich und wahrhaftig wirklich noch unseren Segler fanden“
Samstag, 8:15
Warme Morgensonne scheint in die Fenster unserer Koje. Ich begrüße John mit einem „Good morning, Captain!“ und den Tag mit einer Schwimmrunde ums Boot. Ganz schön stattliches Teil. Kaum zu glauben, dass es nur 6,2 Tonnen auf die Waage bringt. Schlicht, aber irgendwie majestätisch. Erhaben ruht es im sanft glitzernden Wasser der kleinen Bucht. Wie anders, wie lächerlich klein es im offenen Meer wohl wirken wird…
„Ja klar, kein Problem, nehmt euch ein paar Tage Bedenkzeit; wenn ihr euch dagegen entscheidet, wäre schade, aber auch nicht weiter schlimm, ich habe ja schon meinen Kumpel an Bord.“
9:25
John bringt uns im kleinen Beiboot zum Ufer. Wir geben uns die Klinke in die Hand mit seinem erwachsenen Sohn, dessen Frau und Johns Enkelkindern, die übers Wochenende zum Opa gekommen sind und sichtlich straucheln, das winzige, wackelige Schlauchboot, das sie gleich zur Jacht bringt, zielsicher zu treffen. Ist es ein Zeichen, dass wir auf dem Wochenmarkt direkt nebenan eine echte Französin finden, die echte Schoko-Croissants und echtes Baguette verkauft? Eine kulinarische Notration für den gelähmten, Toast- und burgerleidenden Gaumen – Sänkjü vörry möötsch!
Wenn wir eins gelernt haben, bei ungezählten Nächten Couchsurfen, endlosen Kilometern Autostoppen und tausenden Begegnungen mit Fremden in Stadt und Land, dann ist es das Ertragen von in Worte gefasstem Scheitern. Fünf bis zehn Tage auf See, das wird schon gehen, die Jacht ist obergeil. Wir haben unsere eigene Kabine, ohne Tür zwar, aber im anderen Rumpf als John und sein Kumpel, der Unbekannte, dessen Lebenserwerb übrigens an Dubiosität kaum zu übertreffen ist. Tagelang sperren wir uns auf wenige Quadratmeter ein, mit einem ehemaligen Baumeister und einem Gebrauchtwagenhändler, das muss man sich mal auf der noch schokoladigen Zunge zergehen lassen.
10:15, Moruya, Tankstelle
Das zuverlässigste Eis ist Magnum. Auf der ganzen Welt hat Magnum uns nur ein einziges Mal enttäuscht. Zu seiner Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden, dass dies auf das Konto der launischen Stromversorgung im Thailänder Hinterland ging. Weltumspannender Lebensmittelkonzern hin oder her, einen Grundsatz an zuverlässigen Konstanten braucht jeder. Tramper leisten, anders als die meisten, keine Zahlungen an böse Ölkonzerne. Diese weiße Weste verträgt ruhig ein paar Kleckse Konzern-Eis (…und ewig grüßt der Moral Hazard). Unilever Australien hat ein neues, rosa glitzerndes Eis im Programm. „Magnum Marc de Champagne“. Heute ist Tag der Geschmacksknospe, denke ich, der bald frisch gebackene Jachtinsasse, als ein weiterer Fahrer ablehnt uns mitzunehmen, und sich ein Hauch Gourmet in den Dunst seiner Abgase mischt.
Clara steht an der Straße, ich spreche die Leute direkt an. Die bombensichere Strategie braucht diesmal erstaunliche zwanzig Minuten zum Zünden, die sich trotz des Eisgenusses in die Länge ziehen. Dafür sind Fahrer und Auto sehr angenehm. Zwei Grüße von Zuhause: Richard hat vier Jahre in Nürnberg gelebt, teilt er uns in zögerlichem, aber tadellosen Deutsch mit, und unter der Ägide seines sanften rechten Fußes flüstert ein brandneuer Kompakt-SUV aus Wolfsburg. Mit serienmäßiger Straßenbereifung. Ich traue meinen Augen nicht, als der Tacho schon 100 zeigt, so ungeahnt komfortabel ist diese Karosse.
10:57, Kreisverkehr Abzweigung nach Canberra
Schade. Der einzige kultivierte Fahrer seit langem bog schon früh ab. An seine Stelle tritt nach kurzem Warten ein anderer Mann Ende 50. Sein Bart ist lang und grau, seine Stimme freundlich, die Worte karg, die Fenster offen, der Gasfuß schwer. Sein Hemd trägt ein buntes Muster, das vom Traumfänger am Rückspiegel aufgenommen wird. Die tiefen, mit grauen Rentner-Pelzüberzügen nachgerüsteten Sitze des Holden Commodores, dieses typischen Australien-Opels, bieten gerade genug Seitenhalt, um den Fahrer Fahrer sein zu lassen und zum Surren des Sechszylinders genüsslich einzunicken.
12:45, Ulladulla
Aus den Fenstern tiefergelegter, sonderlackierter Pickups mit Chromfelgen pöbelt man uns im Vorbeifahren etwas entgegen. Wir sind froh, dass „Logopädie“ und „Physik“ für die Insassen nur irgendwelche Fremdwörter sind und ihre Botschaft daher im Motor- und Auspufflärm versinkt. Als irgendwann ein Behindertentransport hält, reagieren wir nicht, denn wer würde nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass es die Pickup-Insassen sind, die in ihm am besten aufgehoben wären. Doch obwohl wir unsere Daumen schon nicht mehr recken, gilt das Anhalten des netten Fahrers uns. „Hi Marc, nice to meet you too.“ Auf einem seiner zahlreichen leeren Sitze dürfen wir Platz nehmen. Etwas später erstöbern wir mit dem geballten Improvisationstalent von 14 Monaten Unterwegssein in einer einzigartigen Kombination von Anitas Kindle und Marcs Smartphone einen geeigneten Zeltplatz.
15:38, Kreuzung im Nirgendwo
Die entsprechende Kreuzung wird von drei besoffenen Gestalten patroulliert, die über die ganze Fahrbahnbreite wanken. Marc gibt Gas. Naja, dann schlafen wir halt woanders, denken wir gerade, als er mitten auf der Landstraße in die Eisen geht und umdreht. Anstelle der Zombies ist beim zweiten Anlauf ein Jeep mit Wohnwagen an die Kreuzung getreten. Sein Fahrer trägt eine Hornbrille, dicker als der graue Sitzüberzug aus Plüsch. Seine Frau hat er in Asien gekauft. Durchs Fenster sehen wir auf dem Rücksitz eine Alte, wie wir später erfahren stattliche 103, die lethargisch einzelne kalte Pommes mümmelt. Nur noch 11 Kilometer, draußen dämmert es schon. Wir nehmen uns ein Herz und bitten dieses augenscheinliche Dreamteam höflich, uns mitzunehmen. Er schüttelt vehement den Kopf, sie zögert. „Nur, wenn ihr uns nicht abstecht.“ Hat sie Humor? Sie blinzelt zweifelnd. Meint sie es ernst?
Nach dem obligatorischen, diesmal unfassbar zähen Spruch-Schlagabtausch (ich: „Who would use knives, if you have automatic rifles?“ Sie: „Well, at least we are three, and you are only two.“ Ich: „Don’t worry, I’ll put my machine guns in the caravan, if it makes you feel safer“) gesellen wir uns zu den Pommes und die rasante Fahrt nimmt ihren Lauf. Mit dröhnenden 35 km/h fetzt der Camping-Express über die Landstraße, untermalt von Hornbrille am Steuer. Er ist auf Endlosschleife. „Darling, you’re sure this is the right street now? Never could I travel like you guys. Traveling like this? No, not for me. Are we right? No. No way. Not for me. Is this street right? Traveling like you? No, not for me. Do it like you? Not for me. Not for me! Are you sure? Do a journey like you? No. No, no, no, not for me.“
17:05, Jervis Bay
So erleichtert haben wir noch nie ein Auto verlassen. Als wir die schweren Rucksäcke aus dem Wohnwagen nehmen und gekrümmt über die Promenade an schicken Restaurants vorbeischlurfen, muss ich Clara versprechen, dass wir nie wieder Autostoppen.
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Und, hältst du das Versprechen?
bis jetzt, ja 🙂
Never ever hitch hike? Daran kann man sich nicht halten
Haha, keine zwei Wochen später sollst du recht bekommen. Das zweitägige Menu von Opua nach Auckland bestand, neben einigen kurzen Vorspeisen von Kreuzung zu Kreuzung, aus vielen gut abgeschmeckten Hauptgängen. Da wäre ein Maori, der die volle Zeit seiner Regionalentwicklungsprojekte im ersten Jahr immer damit verbringt, die stur streitenden Interessensgruppen der strukturschwächsten Landstriche miteinander zu befrieden. Dann der Maori, der uns am liebsten gleich zum WWOOFen in seinem Garten dabehalten hätte. Die Hupe seines mint-grünen Pickups frohlockte mit einer 20-sekündigen Fanfare. Außerdem die Dame, die das Stadtleben in Auckland nicht mehr aushielt, und in ihren besten Jahren allein aufs Land zog, um in der Schuldnerberatung ihre ehrenamtliche Berufung zu finden. Nicht zu vergessen das amerikanische Touristenpaar, das 90% der Orte unserer bisherigen Reise bereits aus dem Fenster eines Pauschalreisebusses erlebt hat (also nicht). Der Nachtisch kam mit einem Schweizer BMW-Mechaniker, der sich seit sechs Jahren von den Kollegen Sprüche dafür anhören muss, dass er seinen kurz nach dem Auswandern erworbenen Subaru immer noch fährt. Pannenfrei.
Tja, und weil der Bus von Auckland nach Napier ausgebucht war, kauften wir uns kurz entschlossen auch einen. Einen 1993 geborenen Japaner, der auf den Namen Nissan Avenir hört, und kommen in nächster Zeit nicht mehr mit so vielen interessanten Menschen in Kontakt…
Schade, dass ihr keine Zeit zum Wwoofen beim Maori hattet!
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