Automonotobil

Auf den gut ausgebauten Straßen des Landes herrscht etwas vor, das jedem Auto-Interessierten ein Gefühl beschert, das am ehesten mit ernüchternder Eintönigkeit beschrieben werden könnte. Auch in unseren Breitengeraden ist man seit den 1990er Jahren zwangsläufig an die monotone Farblosigkeit aus silber-grau und schwarz lackierten Karrosserien gewöhnt. Nicht jedoch an die Tatsache, dass 90% des Personenkraftwagenbestands aus acht Modellen besteht! Der häufigste aller Wagen, der Paykan, geht noch als landestypisches, rustikales Unikat durch. Liebevoll statten die Iraner das Auto, dessen chromverzierter Kofferraumdeckel entfernt an einen guten alten Mercedes der 123er-Serie erinnert, mit Weißwandreifen, Sonnenblenden und Chromfelgen aus. Egal welches Modelljahr: Die Dachlinie der mehrfach gefacelifteten Paykans verrät seine unrühmliche, enge technische Verwandtschaft zum Lada. Größtenteils umgestellt auf Erdgasantrieb ist er aber trotz seines ehrwürdigen Alters einigermaßen umweltfreundlich. Das zweithäufigste Auto ist kein Russe, sondern Franzose. Warum sich die Perser allerdings aus allen französischen Autos ausgerechnet das allerhässlichste ausgesucht haben, um es 100.000-fach auf ihre Straßen zu stellen, bleibt ein Rätsel. Er ist das perfekte Symbol für die geballte gestalterische Zerstörungskraft der späten 1980er Jahre, er ist der Gipfel der un-Ästhetik: Der Peugeot 405. Als solcher verschandelt er in Limousinen-Variante das iranische Straßenbild. Außerdem als Peugeot Pars – gleiches Auto, dezentes Facelift, neuer Name. Eine weitere Variante des 405 gibt es, seit sein Patent nach 15 Jahren ausgelaufen ist. Der Iran Khodro Samand sieht von vorne aus wie ein Seat Toledo, von der Seite wie ein Nissan Primera, und von hinten wie ein Mitsubishi Lancer. Unter dieser kosmopolitischen Erscheinung, deren Markenzeichen – ein dynamischer Pferdekopf – als größenwahnsinnige Reminiszenz an die krachmachenden Sportwagen aus Italien verstanden werden darf, steckt der altbekannte Peugeot 405. Frankreich steuert noch ein paar andere Modelle zur Kompakt- und unteren Mittelklasse bei, die ausschließlich als Limousine in Iran unterwegs sind: Citroen Xantia und Renault Megane. Nicht taufrisch ist deren Technik und Erscheinung, aber immerhin jünger als die der Paykans und 405er. Der Peugeot 206 ist der jüngste unter den Franzosen. Er darf als Kompaktwagen, wie in Europa, und als Stufenheck sein Dasein bestreiten. Berühmt geworden ist der Dacia Logan in unseren Breitengeraden für seinen rekordmäßig niedrigen Preis, der nicht durch Magie, sondern mit veralteter Renault-Technik unter der Haube erreicht wird. Als solcher, Renault Tondar, fährt er hier durch die Gegend und sticht aus der Reihe: Allein mit frischem Lack und serienmäßigen Alufelgen durchbricht er das omnipräsente automobile Schrammel-Einerlei. Das muss man sich mal vorstellen! Ein Dacia Logan als Augenweide! Wer sich erhofft, dass ein koreanisches Modell frischen Wind in die russisch-französische Dominanz der iranischen Autolandschaft bringen könnte, irrt. Auch aus Korea wurden zwei der hässlichsten Erfindungen der Autogeschichte ins Land geholt: Der Kia Pride, eigentlich ein harmloser, normal-unschöner Kleinwagen, fährt als Saipa Saba mit brachial angeklatschtem Kofferraum oder als Saipa 141 mit ekelerregendem Schrägheck durch die Gegend. Der Daewoo Matiz, ein verzweifelter Design-Abklatsch des Mazda 121, wird unter der Marke MVM geführt. Ihm wird gestattet, die kompakte Silhouette zu behalten und die Vorgabe zu durchbrechen, dass die Existenz eines Auto nur in Form einer Limousine mit Stufenheck berechtigt ist. Vielleicht ist das auch sein Manko, denn oft sieht man ihn nicht. Vereinzelt darf man noch schmunzeln, denn auch eine Perser-Variante vom Renault R5 darf ohne ausgestellten Kofferraum als Auto gelten. Seine ausschließlich fünftürige Bauform trifft man in zwei Versionen an: Die alte normal, die neue noch putziger mit zwei serienmäßigen Knallern: Vier weit ausgestellte Radkästen und eine höhergelegte Hinterachse. Dieser R5 ist ein wahrer Augenschmaus im Vergleich zum oben genannten einerlei und zum letzten Modell dieser Hall of Shame-Aufzählung. Ausgerechnet der Opel Kadett, gewissermaßen das US-Deutsche Hässlichkeits-Pendant zum Peugeot 405, stand drei Varianten Pate, die in unterschiedlichen Front- und Heck-Designformen allesamt mit der unverwechselbar undynamischen Kadett-Dachlinie glänzen und unter der koreanischen Marke Daewoo fungieren. Die Namensgebung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Man führe sich einen Opel Kadett vor Augen und versuche mit aller Kraft, sich bei den folgenden Namen das Schmunzeln zu verkneifen. Viel Glück: Daewoo Cielo, Daewoo Racer und, Achtung, Daewoo Le Mans GTI. Fassung wiedergefunden? Dann weiter im Text. Ganz vereinzelt erblickt man außer vergleichsweise luxuriösen (weil großen) Hyundai Sonatas und antiken Amischlitten aus der Zeit vor der islamischen Revolution noch japanische und koreanische SUVs und rar gesäte Modelle der deutschen Oberklasse-Limousine mit dem Stern und jener aus Bayern. Das hat seinen Grund: Die Luxussteuer für alle Autos aus dem Ausland, egal ob sie neu oder gebraucht importiert werden, liegt zwischen gesalzenen 110 und saftigen 125%.

10 Kommentare

  1. wun-der-bar. du bist ganz der alte! du hast dich um nicht eine chromleiste verändert. hiermit verleiht dir dein oldtimer inoffiziell die adad-plusplus-karte! (und 100 freikilometer mit dem w-124 und deiner prinzessin, wenn ihr wieder in hh seid).

  2. karin

    moritz, du „fährst“ 3000 km Richtung Osten, um uns mitzuteilen, dass du solche Automobil-Kenntnisse hast! :-)))))

  3. gisabuehner

    Ich könnte mich ja sowas von beömmeln!!!
    15 Jahre Ökodasein und mehrere Jahre Durchdringung von Boku-Gedankengut konnten diese Lust am Automobil nicht austreiben…

    Staunend lese ich diese Ergüsse, zugegebenerweise könnte man auch sagen, ich überfliege sie, denn so ganz bei meinen ureigensten Vorlieben und Interessen werde ich selber bei dieser Lektüre nicht abgeholt.

    Da kommen die alten Zeiten hoch, wo dieser Junge die Fotos in der ADAC-Automobilwelt exakt den Fahrzeugtypen zuordnen konnte, auch wenn wir zunächst die Bildunterschrift, später dann das halbe Foto und schließlich 95% des abgebildeten Autos verdeckt haben. Ein winziges Detail, und Marke, Type, Baujahr sprudelten aus ihm heraus.

    Ich war vorgestern in der Autostadt Wolfsburg, überall geifernde Männer vor chromblitzenden zum Kunstgegenstand gehypten profanen Automobilen, inszeniert wie echte Warhols.

    Moritz, was willst du eigentlich in China?

    • Hias

      Ahaha
      diesen Fetisch hat Moritz offensichtlich während seiner Phase der Boku-Gedankengutdurchdringung gut hintangehalten: 😉

  4. Malle

    Hahaha, cool! Eine schöne Morgenlektüre

  5. Malle

    Ich habe die Wachphase, durch hämmerndes Pochern und Kreischen direkt unter meinem Bett verursacht (Labsal wurde umgebaut), genutzt, um mich den Abenteuern meines Bruders zu widmen.

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