Wüst

Fast hätten wir uns schon damit abgefunden, die faszinierenden Berg- und Wüstenlandschaften Irans nur aus der Ferne zu betrachten, aus den Fenstern von Bussen, Bahnen und Taxis. Drei Wochen sind einfach zu wenig für dieses gigantische Land. Landschaft würden wir in Zentralasien noch genug genießen können, trösteten wir uns, und kosteten lieber die kulturellen Seiten Persiens voll aus. Kaum hatten wir uns versehen, saßen wir jedoch im rustikalen Toyota Land Cruiser von Masoud, seines Zeichens Touristenführer und Bekannter über vier Ecken, der einen Geländewagen aus einer Zeit sein Eigen nennt, als diese ihren Namen noch verdienten, und steuerten in atemberaubend hohem Tempo die Wüste an. Von der asphaltierten Autobahn biegt er unvermittelt in die Pampa ab, direkt und ungebremst. Es rüttelt, es schüttelt, es stinkt nach Benzin. Masoud nimmt jeden Buckel, jedes Schlagloch, jede Schwelle als willkommenen Anlass, seinen Bleifuß noch ein bisschen kräftiger auf’s Gaspedal zu drücken. Steine knallen gegen den Unterboden, Insassen fliegen in die Luft und landen plump im abgewetzten Sitz. Masoud stimmt ein Lied an, singt aus tiefster Kehle, niemand stimmt ein. Doch die Stimmung im Wagen ist gut. Neben uns leiden noch drei Mädchen. Eins, unser Kontakt, ist nach seinem Uniabschluss in Philosophie arbeitslos, eins arbeitet in einem Architekturbüro, und eins ist den ganzen Tag schon stumm. Alle drei nehmen die Tortur mit Humor, freuen sich über die Abgeschiedenheit der Wüste, über die spontane Flucht aus dem öden Alltag. Nach endlosen vierzig Minuten des Höllenritts, der Arm ist schon lahm von Festkrallen am Griff über dem Fenster, von dem wir jetzt endlich wissen, wozu er außer dem Befestigen von Hemdbügeln dient, erreichen wir im Abendlicht die einsamen Sanddünen. Als der Zündschlüssel gezogen, als die Türen geöffnet sind, hat die Stille nur sehr kurz Zeit, sich auszubreiten. Die Männer ziehen die Schuhe aus, die Mädchen werfen die lästigen Kopftücher weg, und alle spielen in der größten Sandkiste von Yazd.

6 Kommentare

  1. karin

    mir kommen die tränen bei diesen Bildern, ich würde euch gerne knuddeln. mein herz begleitet euch auf der ganzen reise. (mag ev zu pathetisch klingen, aber im moment fühle ich so. dot.

  2. Romi

    mir fast auch. toller text! und die bilder – traumhaft! ein wahrer genuss, man spürt die freiheit!

  3. belutzername

    „Spielt, Kinder, spielt!“

  4. gisabuehner

    Es geht mir genauso.
    Die schönsten Bilder der Reise.
    Eine wundervolle kleine große Geschichte.
    Eine gelungene Ergänzung zur Unsichtbarkeit.

  5. Nikos

    Wunderbar !!!!

  6. Masoud

    Hi Moritz and friend,
    I’m the breath taking speeder in the Sand Box.
    Thank you Moritz for the great narration, I was cheered up when I read your both stories, (you know what I mean)
    Send my best regards to Clara, if I’m spelling her name correctly.

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