Tonsai, zwischen Traum und Tortur

Das verwunschene Ziel jedes Reisenden, nur per Boot erreichbar, exklusiv und rustikal zugleich, an dem nichts dröhnt außer Bob Marley aus Strandbars, an dem nichts klickt außer den Expressen der Kletterer, wo das Leben in einer Postkarte spielt? Seit Alex Garlands „The Beach“ ist diese diffuse Sehnsucht in der Popkultur angekommen, doch in der Vorstellung von Backpackern und Extremsportlern schwirrt sie schon seit Generationen. Tonsai ist einer seiner Realität gewordenen Vertreter, dieser Tage hoch gehandelt in den Gasthäusern und Bars des Banana-Pancake-Trails durch Südostasien.

Doch wehe dem, der wirklich hin fährt – Der erste Blick, der erste Schritt, beide fallen auf die knirschenden, sterblichen, grauen Überreste von einst bunt wedelnden Korallen. Durch einen Friedhof in knietiefem Wasser musst du waten, willst du in das Paradies von Tonsai eintauchen. Jeder Ankömmling hat nasse Hosen. Nicht vom überwältigenden Anblick der Szene, sondern von der Abwesenheit eines Anlegers. Es gibt auch keine Straße. Und erst recht keine Stromversorgung, keine Kläranlage, keine Müllentsorgung. Klingt verwegen? Nach Abenteuer? Freiheit?

Bilder sind die neuen Buchstaben. Mithilfe von Bildern bahnen sich langjährige Geheimtipps in den virtuellen Kanälen der demokratisierten Massenmedien in nur einer Saison den Weg zum Objekt des Massenansturms. Soziale Netzwerke filtern nicht, sie vermitteln direkte Emotionen, und wenn es an einem nicht mangelt in Tonsai, dann an überwältigenden Anblicken.

Schnorcheln? Fehlanzeige. Das Wasser ist so trüb wie ein Lemon-Shake. Schlafen? Die Dieselgeneratoren der Bars und Unterkünfte knattern ohne Schalldämmung bis tief in die Nacht. Nickerchen am Strand? Die Explosionen in den Motoren der pittoresken Holzboote, die nicht nur Touristen in 6er-Grüppchen, sondern auch alle Vorräte und den Treibstoff heranschaffen, sind so laut, dass sie selbst die brachialste Harley der Welt in den Schatten stellen. Ihr Gashahn wird nicht durch einen bootstypischen Hebel betätigt, sondern an einer Schnur per Hand; ein Aufbau, der jeden der dutzenden Kapitäne zum unablässigen Aufheulenlassen des Motors verleitet. Der ohrenbetäubenden Kakophonie aus den ungedämpften Motoren vom Wasser und dem ungedämpften Brummen vom Land kann nur entrinnen, wer sich der Endlosschleife von Bob Marley und den Wailers aussetzt, nach der Fußmassage einen Happy Shake bestellt, die vom Felsvorsprung fallenden Basejumper bewundert und den lieben Gott des Ölzeitalters einen guten Mann sein lässt. Nicht das übelste Schicksal, für zehn kurzweilige Tage.

2 Kommentare

  1. karin

    die Bilder sprechen eine andere Sprache als der Text. Ist es nun schön oder schiach im Paradies?

  2. Gisa

    Finde ich auch!
    Nur das eine… aber Moritz… warum hast du denn so große AUGEN????

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