Acht Aquarien. Eins voller Krustentiere im K.O.-Stadium, vier mit fidelen Fischen, eins profan mit Putzeimer, und aus einem beobachten zwei große Fische, wie ihre atemlosen Artgenossen am Boden vor sich hinvegetieren. Sie liegen quer.
Senkrecht hingegen stehen die menschlichen Beobachter, während ich diese Zeilen ins Netbook notiere, und beäugen aus der typisch chinesischen, dezenten von-schräg-hinten-Position. Sie haben sich ins edelste Etablissement der Kleinstadt geschlichen, wo an den Tischen Holzstühle stehen und die Tischdecken im Strahl der Ventilatoren wehen, zu den zwei Pausierenden aus Fern-West. Richtig, wir haben die vertrauten Ex-Kolonialgefilde von Hongkong und Macau verlassen und sind wieder in China. In der Glotze läuft Olympia. Natürlich Tischtennis, die Königsdiziplin des Landes. Eine ganz schön dicke Suppe haben wir uns eingebrockt, ausgerechnet in China mit dem Liegeradeln zu starten (wir liegen längs).
Nicht der Verkehr ist das Problem – Man bremst für uns, öffnet Auto- und LKW-Fenster für ein Handyfoto, winkt, überholt langsam und mit Extra-Abstand. Unser Status als doppelte Mega-Attraktion – Ausländer mit europäischem Gesicht und Körperbau, plus zirkus-artiges, nie gesehenes Gefährt – ermöglicht uns eine dreiste Fahrweise. Wohin wir auch kommen, wir haben Vorfahrt. Sobald wir die Arena der Kreuzung betreten, kommt der Verkehr zum Erliegen. Egal wir groß oder klein die Straße, wir bekommen einen mehr als gebührenden Respektabstand, wenn wir überholt werden.
Das Problem ist zweierlei. Erstens die verpestete Luft. So trüb, das sich die Sonne am helllichten Nachmittag rot färbt, und so staubig, dass die Augen brennen. Doch außerhalb der Großstädte und Industriezentren kann man aufatmen. Sofern man den Weg kennt. Denn das ist das gravierendere Problem. Schilder sind nur sporadisch mit lateinischen Namen bestückt, und selbst die detailliertesten Karten kommen dem allumfassenden Bau-Wahn nicht hinterher. Die beste vierspurige Landstraße kann nach nur einem Jahr durch eine Autobahn ergänzt werden, deren Stelzen nur wenige Meter entfernt in den Himmel ragen. Wie genau die neue Straße verlaufen wird, das scheint niemand so genau zu wissen, zumindest nicht in der Redaktion der Kartenverlage. Eine Karte mit latinisierten Namen, zur Übersicht, und eine detailliertere, zur Planung. Genau, wie es in vielen Radreise-Blogs empfohlen wird, navigieren wir versuchen wir zu navigieren. Es ist hoffnungslos. Für zwanzig Kilometer brauchen wir einen ganzen Nachmittag. Meine Idee, in Hongkong ein GPS zu kaufen, die Routen am PC vorzuplanen, und dann strikt nach Fahrplan der Route am Gerät zu folgen, haben wir verworfen. Zu viel Technik, zu viel Geld, zu wenig Minimalismus, unpassend zu unserer Reise.
Aber nur, wenn man sich nicht gerade zwanzig Mal verloren hat, und sich weder vom groben Kartenmaterial auf Papier, noch von Passanten am Wegesrand Hilfe erhoffen kann.
Also ihr verwehrt euch quasi der Kultur des Landes dort? 😉
Haha, die Kultur des Landes besteht aus Zweierlei.
a) Bei den armen Menschen vom Land hat man keine Zeit zu radeln. Feld und Hof wollen gepflegt werden, das bescheidene Essen will hart verdient sein! Freizeit? Fehlanzeige!
b) Die Menschen aus der Stadt kaufen sich ein fake-Smartphone mit fake-GPS. Sie stellen es aufs Armaturenbrett ihres Kompaktwagens oder fake-SUV, nur um zu zeigen, dass sie eins haben. Bevor sie drohen, am veralteten Kartenmaterial und schlechten Empfang zu verzweifeln, folgen sie lieber den Straßenschildern.
Wir verzichten auf Integration 😉
Hätte ich nicht für möglich gehalten, dass du das mal sagen würdest.
den will ich sehen, der in einem anderen land aufgewachsen und sozialisiert ist, und es anstrebt, sich in china wirklich zu integrieren! viele werte, die man als universell bezeichnen kann, weil sie in 99,3% aller weltgegenden gelten, haben in china keine gültigkeit*.
im übrigen strebe ich angebertum und protzgehabe (stichwort fake-SUV) nicht an, auch wenn sich selbiges in den emerging economies dieser welt gerade sintflutartig auszubreiten scheint.
*) eine kurze wikipedia-recherche hat ergeben, dass die weltweite landfläche knapp 150 millionen quadratkilometer beträgt. mit knapp einer million quadratkilometern gehört ein 150stel des landes zu china, das sind sind 0,66 prozent. die welt besteht also grob überschlagen zu 99,3% aus anderen ländern, und zu einem 150stel aus china, rein flächenmäßig.
Hahah, führt ihr auch ein Zirkusstück auf den Kreuzungen vor? Ihr habt ja auch das Fähnchen.
Das mittlere Bild erinnert mich übrigens an Cuba, diese leeren Häuser.
Ja, Clara hat einmal einen seitlichen Salto gemacht, also eine Schraube, kurz vor der laotischen Grenze, als sich aus dem Nichts ein Geländewagen in die Mitte der schmalen Straße beamte. Aber niemand hat applaudiert, denn bei den Grillen, Mücken und Ameisen sind akrobatische Manöver an der Tagesordnung.
Apropos Fähnchen: Eine Gruppe holländischer Motorradfahrer hielt uns für Landsmänner und empfing uns jubelnd in einem Straßencaf´e. Wir mussten sie enttäuschen, denn wie jeder Müllmann weiß: außerhalb ihres kleinen Königreichs steht orange für „Achtung“.
Oh, das klingt aber nicht nach einem gewollten Kunststück! Gut, dass nichts passiert ist! Und die Holländer sind ja der Brüller!
ja, der schreck war größer als der schaden. großer schreck, schaden kratzer am kinn.
die holländer, die sich stattliche motorräder mit halbwegs zeitgemäßer abgasnorm leisten könnten, waren auf einer zweiwöchigen gebuchten tour mit russischen zweitaktern unterwegs, dem schlimmsten, was die zweiradtechnik zu bieten hat. ich sag dir, das hat gestunken wie 100 trabis!