Schweißtreibende Scheißprovinz

Verflucht! Verflucht seien sie, die deutschen Steuerzahler im Allgemeinen, die Überwacher von der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Speziellen, und die ausführende Hand der beauftragten vietnamesischen Straßenbauer, die ganz besonders. Zur Hölle fahren sollen sie! Alle zusammen!

Wie kann man nur eine Landstraße bauen, die nie im Tal entlang führt, und immer wenn der arme Radfahrer glaubt, eine Steigung überwunden zu haben, wieder den steilsten und umständlichsten Weg über die größtmögliche Zahl von Höhenmetern wählt? ÜBER JEDEN ZUR VERFÜGUNG STEHENDEN BERG?

Diese innerlichern Wutausbrüche, zusammen mit zwanzig Packungen Keksen und fünfhundert Kilo Bananen, sind der Schlüssel zur Bewältigung unserer ambitionierten Tagesetappe von Phou Lao nach Vieng Thong über die Landstraße 1.

Phou Lao ist ein Provinzkaff sondergleichen, mit besoffenen Männern, die schon früh morgens über die einzige Straße wanken, und Bretterverschlägen, vor denen die Weiber sich die Seele aus dem Leib tratschen. Zwischendurch sieht man Kinder beim Holz tragen und noch mehr besoffene Männer, die nicht müde werden zu versuchen, uns auf ein Gläschen selbstgebrannten Reisschnaps zu sich zu winken. Andere Kinder lachen uns aus, andere Tratschtanten tun es ihnen gleich. Mangels arbeitsfähiger Erwachsener verkaufen uns vier Kinder in einem Ramschladen voller einzeln verpackter chinesischer Süßwaren ein paar Flaschen Wasser, Maiswaffeln und Schokokekse aus Thailand. Beim Anblick des frisch gedruckten 50.000-Kip-Scheins, den wir vor ein paar Tagen in einer anderen Welt aus dem Geldautomaten gezogen haben, bekommen sie große Augen. Das drei-mal von anderen Kindern überprüfend berechnete Rückgeld für unsere umgerechnet fünf gegebenen Euro gibt es korrekt zurück, in einem 20.000er und zehn ortsüblicheren, zerknüllten 500er Scheinen.

Vieng Thong, unser Zielort, wird besser. In Endlosschleife vor sich hingesagt, ist dieser Satz der zweite Teil des Schlüssels zum Weitertreten. Nicht nachdenken, einfach weitertreten, weiterschwitzen, weitertreten, weiterschwitzen. Vieng Thong wird besser!

Nach einem mehr als 30 Kilometer langen, immer wieder jäh durch kleine, demoralisierende Abfahrten unterbrochenen Anstieg – Ja, Abfahrten können demoralisieren, wenn man weiß, dass die kostbar erstrampelten Meter nur so dahinpurzeln, nur, um gleich darauf mit voller Härte wieder erkämpft werden zu wollen – Nach diesem Anstieg endlich die ersehnte Schlussabfahrt. Unglaublich lang, unglaublich schön, pesen wir mit unseren Mariokarts in den Sonnenuntergang, mit bis zu 59km/h rattern wir ungefedert in der eisigen Abendluft über den holprigen Asphalt, die verschwitzten, ausgezehrten Leiber mit Tüchern zu schützen gedenkend, die über der Schulter ohrenbetäubend im Fahrtwind knattern, und sehnen uns nach nichts mehr als einem glorreichen Sektempfang im Tal.

Sekt-was? Ach ja, fast vergessen, wir sind hier nicht nur in Laos, dem ärmsten Land Südostasiens, sondern auch noch im laotischen Hinterland, in einer pupskleinen Kleinstadt, wo urbane Gleichgültigkeit und provinzielle Schäbigkeit einen bestechend uncharmanten Cocktail des Überall-nur-nicht-hier-will-ich-bleiben-Gefühls erregen, garniert mit jüngst erwachender, schreiend ungerechter wirtschaftlicher Entwicklung und wie selbstverständlich damit einhergehendem Protzgehabe einzelner Weniger. Ja, Sekt, das war natürlich unbescheiden, und Empfang in der Fremde, wie soll das denn gehen, aber das dunkle, tote Provinzdorf, das wir antreffen, ist der Gipfel der Enttäuschung. Das Restaurant hat um sieben Uhr schon geschlossen, der Grill neben der Tankstelle serviert nur noch Reste. Mmmh, kalter Fisch vom Grill vom Teller neben dem Grill mit kaltem Reis, garniert mit Gedudel und Gekrächze vom Karaoke nebenan. Widerlich.

Wie hält man das aus? Die Antwort ist leicht, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn nicht Vieng Thong, dann eben Pak Xeng, und wenn das nicht, dann Vieng Kham. Vieng Kham, das übernächste Tagesziel, ist auch scheiße? Dann halt Nong Khiao. Oder Houayluang. Ach verflucht, noch fünf Tage bis zur nächsten Stadt, noch fünf Tage bis Luang Prabang!

6 Kommentare

  1. karinscheer

    Kein Kommentar

  2. Günter Scheer

    Gut zu wissen, dass das schon am Horizont der Vergangenheit hinter euch liegt.
    Und: Keine Sorge, wir nehmen keine Fahrräder mit nach Indonesien…

  3. gisabuehner

    Urbane Gleichgültigkeit und provinzielle Schäbigkeit:
    Dieser Cocktail als Ersatz für den erhofften Sekt, das ist …
    Ich glaube ich habe keine Worte dafür.
    Ich sehe gerade, genau wie Karin.

  4. Ok, ich gebe zu, bei acht ganzen Absätzen Meckern geht er etwas unter, der eine positive Satz, aber es gibt ihn, und er wiegt alles Negative wieder auf, auch wenn Vieng Thong wirklich scheiße war:
    „Nach diesem Anstieg endlich die ersehnte Schlussabfahrt. Unglaublich lang, unglaublich schön, pesen wir mit unseren Mariokarts in den Sonnenuntergang…“

  5. hi guys !…. i would like to understand what are you writing !!!… anyway good luck with your trip !!… i´m also creating a blog but just to remember what i´ve seeing during this trip !…
    hugs !

    fernanda

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