In Teheran gießt man Straßen

David Eickhoff, seines Zeichens heißgeliebter Praktikant am österreichischen Kulturforum Teheran und Anekdoten-Autor kurz vor’m internationalen Durchbruch, beschreibt in dem folgenden Text eine seltsame Unsitte, die uns nicht nur im Iran, sondern auch in den folgenden zwei Monaten in unterschiedlichem Maßstab in ganz Zentrasien begegnete. Menschen nehmen einen Eimer Wasser und schütten ihn Stück für Stück in der Einfahrt oder auf der Straße vor ihrem Haus aus. Oder im Hof eines Restaurants. Oder, wie hier zu lesen, in den Straßen einer ganzen Stadt. Spot an für David:

In Teheran gießt man Straßen in der Hoffnung, dass sie größer werden. Worauf vor der iranischen noch keine Haupt-, Groß- oder Kleinstadtverwaltung der Erde gekommen ist, das wird unter Teherans Oberbürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf flächendeckend praktiziert.

Nachts rücken Kolonnen von mit Spritzdüsen ausgerüsteten Tankfahrzeugen aus, fahren mit etwa 50 Stundenkilometern die Hauptverkehrsachsen entlang und entleeren ihre Wassertanks mit Hochdruck und Präzision in Richtung rechter Fahrbahnrand.

Was nach simpler Straßenreinigung aussieht, hat in Wahrheit einen höheren Zweck: den Platzmangel auf Teherans Straßen zu bekämpfen.

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass Organisches der Wässerung bedarf, wenn es wachsen soll. Wasser ist der Ursprung alles Lebens. Pflanzen nehmen die Feuchtigkeit des Bodens über ihre Wurzeln auf, Tiere stillen ihren Durst an Wasserstellen und Tränken, ja, der Mensch selbst besteht zu 65% aus Wasser.

Im iranischen Volksglauben spielen Straßen und Wege seit jeher eine bedeutende Rolle. Ihnen werden verbindende Kräfte nachgesagt. Jede iranische Regierung, von der Dorf- bis zur Landesebene, hat bislang noch ihren Amtseid auf Allah, den Versammelnden, geleistet. Und wer versammeln will, der braucht Straßen. Wege, das sind eben auch immer potenzielle Wege zu Gott.

Aus theologischer Sicht interessant ist, dass Jesus selbst, den Muslime als Prophet ja keines wegs geringschätzen, übers Wasser gegangen ist und so die beiden Motive Weg und Wasser miteinander verknüpft hat.

Da verwundert es nicht, wenn die Straßen, so grau und leblos sie auch scheinen mögen, im Erleben der Bevölkerung quasi organische Wesenszüge annehmen. Und was lebt, das soll gedeihen. So kennt es ja auch die abendländische Tradition.

Das Teheraner Straßenerweiterungsprogramm verzeichnet bereits erste Erfolge. So konnten die Staus auf der viel befahrenen Vali-Asr-Straße, die jetzt fast durchgehend dreispurig ist, deutlich vermindert werden. Eine Umfrage unter Verkehrsteilnehmern bestätigt dieses Resultat.

Gedacht ist nun, das Erweiterungsverfahren auch auf andere Verkehrswege anzuwenden: Kanäle könnten bei höherem Wasserstand von größeren Schiffen befahren werden, auf zweigleisigen Eisenbahntrassen mehr Güter transportiert werden als auf eingleisigen. Nur in den Tunneln der Teheraner U-Bahn fürchtet man Überschwemmungen und verzichtet daher auf die Bewässerung.

Auf dem Luftweg, wiederum, gilt es Vor-und Nachteile abzuwägen. Der willkommenen Mitbewässerung des kargen iranischen Wüstenlandes steht als weiterer Nebeneffekt der Protest einer urbanisierten, Wellness-orientierten Oberschicht gegen im Jahresmittel erhöhte Niederschlagswerte entgegen.

So konzentriert man sich in Teheran vorerst auf die Straßen, die übrigens noch von einer zweiten Erweiterungsmaßnahme profitieren: nächtliche Fegekommandos auf den Stadtautobahnen. Durch deren stetes Streichen über den Asphalt, so hofft man, wird sich dieser glätten und strecken und so letztlich auch mehr Platz für den Autoverkehr hergeben. Diese Maßnahme wurde von italienischen Pizzabäckern abgeschaut und wird im Volksmund auch das „Nudelholzprinzip“ genannt.

Was zurückbleibt, wenn die Tankfahrzeuge vorbeigerauscht sind, das ist ein nasser rechter Fahrbahnrand, den ein- und abbiegende Autos nach und nach zu Reifenspuren verwischen. Im Straßengraben, der in Teheran auch schon tiefer als in den meisten Haupt-, Groß- und Kleinstädten dieser Erde ist, fließt ein dünnes Rinnsal seiner Bestimmung entgegen. Geklärt und gereinigt wird es morgen wieder seine Reise im großenWasserbehälter eines mit Spritzdüsen ausgerüsteten Teheraner Tankfahrzeugs antreten.

2 Kommentare

  1. belutzername

    In Deutschland, Österreich und der Schweiz fegt oder kehrt man die Straßen, in der Hoffnung, dass sie sauberer werden. Da bekommt der Teheraner wiederum feuchte Augen! Oder?

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